WÄ…tki
 
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ständlich bekam ich die Flasche zu fassen, goss mein
Glas unhöflich voll und stellte die Flasche auf den Boden.
»Er hat sich abgemeldet, genau wie ich«, sagte Clarissa.
»Er hat & er hat mir erzählt, er hat sich in Haidhausen an-
gemeldet, in der Wörthstraße, das ist da, wo seine Freun-
din wohnt. Aber er hat nicht ihre Adresse angegeben,
sondern eine andere. Er wollte es einfach so, verstehen
Sie? Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, warum. Er
hat sich ordentlich umgemeldet und dann, ungefähr ein
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Jahr später, ist er wieder auf die Behörde gegangen und
hat sich unter Theresienhöhe 6 c eintragen lassen. In
Wirklichkeit wohnte er weiterhin bei seiner Freundin in
Haidhausen. Und jetzt wollen Sie wissen, wieso jemand
so was macht.«
»Er hat sich vor drei Jahren umgemeldet«, sagte ich. »Zu
dieser Zeit wohnte jemand anderes in dem Apparte-
ment.«
»Natürlich, ich hab es dauernd vermietet. Das sind gute
Einnahmen. Ich werd wahrscheinlich bei TV9 aufhören,
das führt hier alles zu nichts, ewig derselbe lokale Kram,
das interessiert mich nicht, ewig dieselben Schädel & «
»Sie haben sich mit Ihrem Exmann getroffen«, sagte ich,
»auch nach der Trennung.«
»Mein Gott!«, rief sie. »Er hat mich gerührt! Er hat mich
immer gerührt! Das war ja das Problem! Ich wollt ihm
helfen, immer schon, ich hab gedacht, ich krieg ihn ir-
gendwie auf die Reihe, verstehen Sie? Ich wollt ihn nicht
ändern, ich hab ihn unterstützt bei seiner Schauspielerei,
ich hab ihn ermutigt & Aber ich wollte, dass er die Reali-
tät zur Kenntnis nimmt, dass er aufhört, wie ein & wie
ein & ein erwachsenes Kind rumzulaufen, das den gan-
zen Tag Spiele spielt & Ich hab immer gedacht, irgend-
wann hört das auf, irgendwann hört er & Er hat nicht
aufgehört. Und dann traf ich ihn, und er sagt, er wohnt
jetzt wieder im Hochhaus, und ich sag, ob er das gut fin-
det nach allem, was passiert ist, und den ganzen Erinne-
rungen, und er sagt & er sagt, er wohnt ja nicht wirklich
dort, nur in den Erinnerungen, er führt jetzt das Leben
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von damals nochmal, aber besser, geschickter & ge-
schickter, sagte er, geschickter & «
Sie weinte. Sie wollte es nicht, sie riss die Augen auf und
presste die Hand fest auf ihren Bauch.
»So ein & so ein Dummkopf! Ich hab gesagt, er soll da-
mit aufhören, und er antwortet, das schadet doch nie-
mandem, was er macht. Das hat er immer gesagt: Das
schadet doch nicht. Das schadet doch nicht. Doch & « Sie
blinzelte und wischte sich mit der rechten Hand übers
Gesicht. »Mir hat es geschadet, all die Jahre, ich war &
ich war & «
Sie redete schneller und merkte es nicht.
»Ich war sechzehn und er & er war einundzwanzig, da
haben wir uns kennen gelernt und wir sind zusammen
geblieben all die Jahre & Er & er hatte andere Freundin-
nen, Frauen & Er ist fremdgegangen, aber dann & dann
kam er immer wieder zurück, und ich hab ihn aufgenom-
men. Und wir sind zusammengezogen. Und wir haben
zusammen gelebt. Und das hat funktioniert. Er hatte En-
gagements, er hat in Theatern gespielt, in Schwabing, am
Theater 44, am Studiotheater, an anderen freien Bühnen,
zwischendrin mal eine Saison in Nürnberg und in Stutt-
gart, auch kleinere Rollen im Fernsehen wurden ihm an-
geboten. Er ist ein guter Schauspieler & er hat & er
hat & «
Sie holte Luft, rieb sich über den Bauch, kniff die Augen
zusammen.
»Er hat Geld verdient & Ich hab auch gearbeitet, ich hatte
die Einnahmen aus dem Appartement, wir hatten keine
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finanziellen Sorgen. Er spielte, er spielte, Jeremias spiel-
te & «
Sie senkte den Kopf.
Auf einem Regal entdeckte ich ein Päckchen Papierta-
schentücher. Ich stand auf und brachte es ihr. Clarissa
tupfte sich die Augen ab, schnauzte sich und sah mich
an.
»Sie sind gefährlich«, sagte sie.
»Nein«, sagte ich.
»Ich sag Ihnen Sachen, die Sie nichts angehen.«
»Das ist wahr«, sagte ich. »Aber die Sachen sind gut auf-
gehoben bei mir.«
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Mit wem reden Sie dann nach der Arbeit?«
»Mit niemandem. Manchmal mit meinem Freund.«
»Ach so«, sagte sie.
»Wir schlafen nicht zusammen. Ich bin mit ihm aufge-
wachsen.«
»Sie haben das so betont: mein Freund.« Sie trank ihr
Glas leer. Ich schenkte ihr nach. Die Flasche war leer.
»Er ist mein Freund«, sagte ich. »Wenn ich jemandem et-
was erzähle, dann ihm. Was ist passiert, als Sie Ihrem
Mann begegnet sind und er Ihnen mitgeteilt hat, dass er
von nun an in seinen Erinnerungen leben will?«
»Ist das eigentlich ein Verhör hier?«, fragte sie.
Ich setzte mich. »Es gibt keine Verhöre bei der Polizei.
Nur Vernehmungen.«
»Das klingt politisch korrekt.«
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Wir schwiegen. Ich spürte den Wind in meinem Nacken.
Das Geräusch des Regens war beruhigend. Wie spät es
inzwischen war, wusste ich nicht. Ich war hungrig,
betrunken und wach.
»Hat er Sie gebeten, den Namen an der Tür anzubrin-
gen?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Und was sagte Ihr Freund dazu? Herr Schulze?«
»Herr Schulze sagte, ich würd spinnen. Herr Schulze sag-
te, er würd mir das verbieten. Ich sagte zu Herrn Schulze,
er hat mir überhaupt nichts zu verbieten. Ich bin zu der
Vormieterin von Frau Bast gegangen und hab ihr erklärt,
dass ich das Schild anbringen will, sie soll sich nicht wei-
ter drum kümmern. Sie machte einen Aufstand, sie be-
hauptete, sie habe ein Recht auf ihren eigenen Namen an
der Tür. Hat sie nicht. Wir haben uns rumgestritten, sie
hat einen Anwalt eingeschaltet, der hat auch nichts er-
reicht, und dann ist sie ausgezogen nach zwei Jahren. Sie
hat lang nichts Neues gefunden. Selber schuld. Frau Bast
war verständnisvoll, ich hab ihr was von der Steuer er-
zählt, dämliche Ausrede. Ich wollte Jeremias eine Freude
machen.«
Als wäre sie plötzlich aus einem Trancezustand erwacht,
sah sie mich mit entschlossener Miene an. »Ich wollt ihm
eine Freude machen, weil es mir das Herz gebrochen hätt,
ihm den Wunsch nicht zu erfüllen. Er hat mich darum
gebeten, und ich konnte nicht anders. Vielleicht ist er
wirklich krank inzwischen, vielleicht wär ich besser mit
ihm in eine Klinik gefahren, vielleicht hätt ich & Ich habs
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einfach gemacht, verdammt, ich kenn ihn mein halbes
Leben und ich mag ihn, ich mag ihn immer noch, und
wenn er sein dämliches Namensschild haben will, soll ers
haben!«
Sie machte eine abfällige Handbewegung, ließ sich gegen
die Couchlehne fallen und zeigte auf die Weinflasche.
»Vollkommen leer«, sagte sie.
Ich schaute die Flasche an, als würde sie sich dadurch
füllen.
Clarissa starrte ebenfalls eine Weile hin.
»Warum ist Ihr Mann von der Bühne gefallen?«, fragte
ich.
Wie mechanisch nahm sie die leere Flasche, stand auf,
hielt kurz inne, die freie Hand flach auf dem Bauch, ließ
den Arm dann sinken und verließ das Zimmer.
Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sie zurückkam. In die-
ser Zeit hatte ich aus der Küche kein einziges Geräusch
gehört.
Clarissa brachte zwei kleine schlanke Gläser und eine
Flasche Grappa mit. Sie goss die Gläser drei viertel voll,
reichte mir eines und hob ihr Glas. Ohne ein Wort kippte
sie den Schnaps runter, sah mich an und wartete, bis ich
ebenfalls trank. Der Grappa hatte mindestens fünfzig
Prozent.
»Deshalb ist mein Mann von der Bühne gefallen«, sagte
Clarissa.
»Er hat getrunken!«
»Er hat nicht getrunken!«, schrie sie mir ins Gesicht.
»Er hat darin gebadet! Gebadet! Er hat die Wanne mit
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Rotwein voll gefüllt und sich reingesetzt. Können Sie
sich das vorstellen? Er hat im Wein gebadet! Er hat sich
einen billigen Fusel gekauft, um sich darin zu baden.
Und danach hat er sich abgetrocknet, sich angezogen
und die Wohnung verlassen.«
Sie schrie: »Können Sie sich vorstellen, wie jemand [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
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